Der Crasher

gute fahrt, Januar 1, 2013

Pierre-Alain Münger lässt es gerne krachen. Der Schweizer Künstler verewigt in wenigen Millise- kunden die Gesichter von Autos auf Metallplatten

 

Wofür andere Künstler Tage oder Wochen brauchen, das passiert bei Pierre-Alain Münger während eines Wimpernschlags: in 60 Millisekunden prägt sich das Gesicht des Cadillac Deville Hearse, begleitet von ohren- betäubendem Lärm, für immer in den Mal- grund und wartet nun darauf, alsbald den Raum eines Kunstsammlers zu zieren. Doch halt: Um ein Bild für die Serie „Faces“ zu produzieren, benötigt der Schweizer Aktions- und Objekt- künstler Münger eine bis zu zweimonatige Vor- bereitungszeit. Umfangreiche Recherchen füh- ren ihn zu den passenden Automodellen, in erster Linie Wagen älterer Baujahre, deren Crashverhalten noch nicht den aktuellen Si- cherheitskriterien genügt. Eine sozusagen wei- che, ausdrucksstarke Front macht ein Fahr- zeug zur ersten Wahl.

Der Crasher

Pierre-Alain Münger lässt es gerne krachen. Der Schweizer Künstler verewigt in wenigen Millise- kunden die Gesichter von Autos auf Metallplatten

„Das Automobil ist eine Maschine, die nebst einem Fahrzeug vor allem eine Schutzhülle ist. Die mechanische Belastung dieser Hülle ist das zentrale Thema meines Schaffens“, erläu- tert Münger. Zu Beginn seines Projekts expe- rimentierte der 35-jährige mit Blechboxen. Da- für setzte er sich in einem abgesperrten Are- al selbst ans Steuer eines Kleinwagens, nur um nach etlichen Tests festzustellen, dass bei allem künstlerischen Bestreben die Kraftein- wirkung auf den eigenen Körper zu groß war. Schließlich konnte er ein professionelles Crash- center für sein Projekt gewinnen und lässt seit- dem Fahrzeuge nach einer streng festgeleg- ten Versuchsanordnung gegen die mit dem Malgrund präparierte Wand fahren.

Münger bevorzugt die Verformung begehr- ter Nobelkarossen; an ihnen lässt sich die De- struktion am krassesten verdeutlichen. Doch so hoch der ästhetische Wert seiner Kunst- werke auch ist, er hinterlässt beim Betrachter logischerweise ein ungutes Gefühl. Der subti- le Schrecken ist von Münger gewollt. Trotz- dem orientiert er sich nur entfernt an den „Car Crash Paintings“ Andy Warhols, der die Grau- samkeit von Autounfällen Anfang der 1960er Jahre unverblümt zeigte. Eher agiert Münger im Geiste des Regisseurs David Cronenberg, der 1996 in dem kontrovers diskutierten Spiel- film „Crash“ einen verstörenden Blick auf eine Gruppe von Unfall-Fetischisten richtete.

Wie Cronenberg hält Münger den schaurig faszinierenden Moment des Aufpralls auf Film fest. Allerdings geht er noch einen Schritt wei- ter und seziert ihn mit 1000 hochauflösenden Bildern pro Sekunde in all seine Makrophasen. Doch im Gegensatz zu dem düsteren Spielfilm

breitet sich hier nach jedem Crash Erleichte- rung aus. Dann, wenn sich der vor der drei Me- ter dicken Stahlbetonwand aufbäumende Bo- lide nach zwei Sekunden wieder auf den Bo- den senkt und als bleibender Beweis des Crashs nur noch sein „Face“ übrig bleibt.

Pierre-Alain Münger hat jedoch nicht vor, sich auf dem Erfolg seiner „Faces“ auszuru-

hen. Stattdessen will er noch mehr ins Detail gehen. Er arbeitet bereits an einem neuen Pro- jekt, bei dem Airbags eine zentrale Rolle spie- len. Bis Ende Oktober wird sein Werk in der Galerie Soon Art in Bern (Schweiz) gezeigt, weitere Ausstellungen sind in Planung.