Nicht alles lässt sich mit Etymologie erklären. Aber manchmal hilft sie auf die Sprünge: Installationen sind eigentlich etwas Sakrales. Das Wort bezieht sich ursprünglich auf die Inthronisierung von religiösen Würdenträgern.
Die Installationskunst stellt sich, bewusst oder nicht, in diese Tradition, indem sie Räume atmosphärisch auflädt und ihnen eine Ehrwürdigkeit gibt, die sie dem Profanen enthebt. Deshalb sind sie Kunst. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass sich Maja Hürst und Philipp Gasser in ihren aktuellen Berner Galerieausstellungen mit dem Thema befassen, ganz unabhängig voneinander und mit völlig verschiedenen Mitteln.
Folklore ohne Geografie
Die unter anderem in Brasilien lebende Maja Hürst hat aus der Galerie Rigassi, neu bekanntlich betrieben von der Galerie Soon, einen Andachtsraum gemacht (siehe auch «Berner Woche» vom 28. April). Eine Kapelle vielleicht, mit mehreren Schreinen entlang der Wand.
Das Tonnengewölbe unterstützt die Absicht, grosse schwarze Dreiecke gliedern das Kirchenschiff, über eine Stufe erreicht man einen Chor, der von drei Gemälden – oder sind es Heiligenbilder? Nein, es geht um die Weltkatastrophen – gerahmt wird, dazu auf einem glitzernden Sockel ein verziertes Stück Holz aus dem katholischen Wallis.
Woraus besteht diese moderne Kirche der Kunst im Einzelnen? Aus lauter kleinen Votivgaben, scheint es, geschnitzten Tafeln, kleinen Zeichnungen auf Holz,
Fundstücken wie Federn, Flaschen, Flakons, Muscheln, Spraydosen, Nägeln, Kleiderhaken, Gummischrot.
Alles mit Bedeutung, aber erst mal nur für diejenige, die es hierher gebracht hat, und dann wieder mit einer ganz anderen für denjenigen, der es betrachtet. Hürst zeichnet grafisch, ihre Bilder wirken vernakulär, fast folkloristisch, aber ohne geografische oder kulturelle Zuordnung. Sie sucht nach Klarheit und Vereinfachung, vielleicht nach einer ?Essenz im Material. Hürsts Kunstreligion ist eine mit Haut und Knochen. Und mit vielen offenen, sehr schön gezeichneten Händen.
Die Computerwolke
Philipp Gasser hingegen bewegt sich in anderen Sphären. Er zeigt in der Galerie Béatrice Brunner eine Videoinstallation von einer Wolke. Gasser hat sie in einem 3D- Computerprogramm zur Skulptur geformt und dann in Bewegung versetzt. Und so sieht man sieben Minuten lang einer virtuellen Wolke zu, die aussieht wie eine echte, mitten im Raum grösser wirkt, als sie ist, und sich so selbstvergessen dreht, dass man sich vorkommt, als blicke man in den am Irdischen völlig uninteressierten Himmel.
Wolken sind seit jeher ein grosses Thema in der Kunst. Bei Caspar David Friedrich dräuen, bei Turner lasten sie, bei Hodler scheinen sie immer zu schweben. Nicht anders in der Gegenwart: Com&Com malen Wolken, der Niederländer Berndnaut Smilde fotografiert sie in Gebäuden, Michael Sailstorfer knüpft sie aus LKW-Reifen.
Philipp Gasser erzeugt sie aus Bits und Licht, auch nichts besonders Greifbares, aber schliesslich sind Wolken das letzte Ding zwischen Erde und Unendlichkeit. Und um solches darzustellen, haben wir die Installation. Bei Gasser bedeutet das Natürliche, die Wolke, das Überirdische, bei Hürst ist das Übernatürliche das Sinnliche.
Galerie Rigassi by Soon, Maja Hürst: Execratika, bis 28. Mai. Galerie Béatrice Brunner, Philipp Gasser: Clouds of the Second Kind, bis 21. Mai. (Der Bund)