Ein Paradies in der Betonwüste

Tsüri.ch, Juli 3, 2017

Ein bünzliger Vorstadtgarten mitten auf dem Bahnhofsplatz? Das sieht man aktuell in Altstetten im Rahmen des Kunstprojekts «Gasträume Zürich». Dahinter steckt der Künstler Peter Baracchi. Im Interview erzählt er, warum er im Namen der Kunst dreissig Mal mit den Giesskannen hin und her rennt - und ob ihm dort alleine eingezäunt nicht auch mal langweilig wird.

Peter Baracchi, warum sitzt du als Künstler stundenlang auf einem Rasen rum?

Meine Anwesenheit auf dieser Rasenfläche ist Teil des Kunstwerkes. Es ist für mich aber die erste Arbeit im öffentlichen Raum in diesem Ausmass. Ursprünglich hatte ich Fotografie studiert. Ich hatte aber immer Mühe damit, meine Fotografie als Kunst zu bezeichnen.

Wieso?

Für mich ist die Fotografie etwas sehr persönliches und Ich-Bezogenes. Ich hatte nicht das Gefühl, dass dies irgendjemanden sonst interessieren würde.

Wolltest du deswegen Kunst machen, die mitten auf einem Platz steht?

Ich wollte mich mit Themen beschäftigen, die alle betreffen, nicht nur mich persönlich. Ich bin nicht der Typ Künstler, der bei einer Depression ins Atelier geht und dann schwarze Bilder malt. Ich möchte Kunst machen, mit der alle etwas anfangen können. Hauptsächlich beschäftige ich mich mit Phänomenen unserer westlichen Konsumgesellschaft.

Die Gasträume in Zürich vereinen verschiedenste Kunstwerke von Skulpturen bis Performances. Warum hast du dich für diese Rasenfläche mitten auf dem Bahnhofsplatz entschieden?

Ich wollte ein Kunstwerk schaffen, das interaktiv ist und die Leute nicht ignorieren können.

 

Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Ich habe mich erst mit der Frage beschäftigt, was diese Gasträume eigentlich sind und an welches Publikum sich diese richten. Die Gasträume unterscheiden sich klar vom Ausstellungsplatz in einer Galerie. Sie sind mitten im öffentlichen Raum – von Pendler über Anwohner erreichst du hier die ganze Gesellschaft. Auch Leute, die zu Kunst überhaupt keinen Bezug haben. Ich wollte nichts machen, an dem diese Leute einfach vorbeigehen und es drei Monate lang ignorieren. Die Idee kam dann zufällig, als ich mal in einen Innenhof schaute, bei dem es viele kleine Gärtchen mit Hecken gab, wie man es typischerweise auch aus der Schweiz kennt. Da hat sich mir der Zusammenhang mit der aktuellen politischen Diskussion um Grenzen und Grenzzäune aufgedrängt.

Die Installation trägt den Namen Exclusive Society. Was willst du mit dieser Installation aussagen?

Ich denke, die Bedeutung ist relativ selbsterklärend und plakativ. Jeder will sich sein eigenes kleines Paradies schaffen, das liegt wahrscheinlich in der Natur der Menschheit. Mein kleines Gärtchen verkörpert dieses Paradies. Jeder will darüber bestimmen können, wer in seine Privatsphäre eindringen darf und wer nicht. Ich bin der Einzige, der einen Schlüssel zu diesem Garten hat, und bestimmen darf, wer hineinkommt. Man sieht aber gerade heute, dass diese Idylle nur vermeintlich ist und auch gefährlich werden kann.

In Bezug auf die aktuelle politische Lage?

Genau. Das, was im Kleinen passiert, ist genau das gleiche wie das, was im Grossen passiert. Ein Staat oder eine Staatengemeinschaft ist auch nur ein Konglomerat aus Individuen. Wenn bereits jedes Individuum sich versucht möglichst stark gegen aussen abzugrenzen, dann ist es logisch, dass der Staat dies dementsprechend ebenso versucht. Wer ist Teil einer elitären Gesellschaft – und warum? Die gesellschaftlichen Ängste beruhen ja auch auf dem Fakt, dass je mehr Leute teil einer exklusiven Gesellschaft sind, desto weniger exklusiv wird sie. Doch wie exklusiv soll eine Gesellschaft sein? Denn wenn ich hier ganz allein in meinem Garten bin, bin ich zwar die exklusivste Gesellschaft, die es geben kann – ich bin ja allein – gleichzeitig jedoch bin ich extrem isoliert. Ich grenze mich selber damit aus, indem ich mich vom Rest der Welt isoliere. Bin ich dann eingeschlossen oder sind sie ausgeschlossen?

 

Wie reagieren die Leute darauf, wenn du hier in deinem Gärtchen sitzt?

Die Leute kommen extrem auf mich zu, sind offen und reden mit mir. Ich war sehr gespannt auf die Reaktionen der Leute und wusste im Vornherein nicht, was mich erwartet, ob auch Beschimpfungen folgen. Aber bis jetzt gab es fast ausschliesslich positive Reaktionen, das ist toll. Und obwohl ich hier in diese Idylle sitze und die anderen in der Betonwüste, hatten letzten Sonntag sogar einige Mitleid mit mir!

Weswegen hatten Sie Mitleid?

Es war ein sehr heisser Tag, und ich war in der sengenden Mittagshitze meinen Rasen am Giessen. Passanten bekamen Mitleid mit mir, weil ich an der prallen Sonne in diesem Gehege ausharrte. Mehrere Leute sind an diesem Nachmittag in die Migros gegangen und haben mit etwas zum Trinken gekauft und durch den Zaun gereicht, damit ich nicht verdurste. Das hat mich gerührt!

Worüber sprechen mit dir die Leute sonst so?

Die meisten fragen natürlich, was ich da mache, für was dieser Garten hier steht. Einige geben mir Tipps zum Gärtnern. Manchmal möchten sie auch reinkommen, worauf ich leider erwidern muss, dass er privat ist und das nicht geht. Besonders schwer fällt mir das, wenn es kleine Kinder sind, die das irgendwie nicht verstehen. Aber da muss ich streng bleiben.

Verstehen ausser den Kindern die Leute deine Botschaft?

Die meisten sicher. Aber es gibt auch einige Leute des etwas älteren Semesters, die meinen, es sei einfach eine neue gut bepflanzte Grünfläche der Stadt. Hier gab es anscheinend früher vor der Betoneinöde eine Bepflanzung mit Rosen oder Blumen. Viele ältere Personen bedauerten den Wandel und sprechen mich darauf an, dass es doch jetzt schön sei, dass wieder ein wenig grün auf dem Platz zu sehen ist - und die Absperrung halten sie dann für ein notwendiges Übel, welches ebenfalls von der Stadt installiert wurde, um das «Gesindel» vom Garten fern zu halten. Das war zwar nicht wirklich meine Intention, finde ich aber auch ganz lustig – und am Ende haben Sie zumindest Freude daran.

Du hast kürzlich einen neuen Apfelbaum bekommen. Hat das auch eine Symbolik?

Das war eigentlich eher Zufall. Ich hab ihn gesponsert bekommen. Aber ich wollte auf jedenfall einen einheimischen Baum, mit dem sich die Leute identifizieren können und den sie kennen. Keinen Mangobaum oder so - und ein Apfelbaum passt ja thematisch auch ganz gut ins Paradies.

 

Daneben hast du Geranien und Tomaten gepflanzt. Pflanzt du kreuz und quer an, was du geschenkt bekommst?

Nein, nein, ich versuche meinen Garten möglichst nach dem Modell eines typischen, bünzligen Schweizer Vorgarten zu bepflanzen. Deswegen habe ich mir als erstes gleich eine Buchskugel geholt und die dazu passende Buchschere, um ihn auch schön rund zu schneiden.

Als Künstler bist du in der Rolle des Hobbygärtners. Aber was machst du eigentlich die ganze Zeit? Der Buchs ist ja schon schön rund.

Jetzt wo es so heiss ist, brauche ich schon enorm viel Zeit nur dafür, alles ausreichend zu bewässern. Ich laufe etwa dreissig Mal mit den zwei Giesskannen vom Brunnen zum Käfig. Dann muss ich den Rasen schneiden und neue Sachen anpflanzen. Manchmal liege ich aber auch nur auf meinem Badtuch ein wenig rum und lese Zeitung – was man halt in einem Garten so macht. Die Idee ist, dass ich meinen Garten so benutze, wie auch jeder andere seinen richtigen Garten benutzt.

 

War dir schon mal langweilig?

Nein, bis jetzt nicht. Ich unterliege auch keinen Auflagen, hier eine gewisse Anzahl Stunden zu verbringen. Ich komme, wann es mir passt, und kann auch wieder gehen, wann ich will.

Stinkt es dir nicht auch manchmal, hier so oft hinkommen zu müssen?

Es hat manchmal etwas Zwanghaftes, weil ich dafür sorgen muss, dass nichts austrocknet. Ich habe den Aufwand auch ein wenig unterschätzt, ich hatte noch nie einen Garten. Aber ich habe auch gemerkt, dass es etwas sehr Entspannendes sein kann, alleine zu gärtnern und seine Pflänzchen zu giessen. Das ist irgendwie meditativ. Ich verstehe langsam, warum sich die Leute einen Garten zulegen.

Was erhoffst du dir, von diesem Garten?

Aus der pragmatischen Sicht des Hobbygärtners: Ich will, dass nichts abstirbt. Zum anderen erhoffe ich mir als Künstler, dass es Denkanstösse gibt. Ich habe nicht die naive Illusion, dass es in unserer Gesellschaft etwas verändern wird. Aber ich fände es toll, wenn die Leute das Kunstwerk beachten und sich über den Bezug zu unserer Gesellschaft Gedanken machen.