Das Eigenleben des Gegenstands

Alexander Sury, Der Kleine Bund, April 12, 2018

Der Beginn einer künstlerischen Achse Bern-Peking: Im Frühling des letzten Jahres besuchten die beiden Leiter der Galerie Soon Ateliers in Chinas Hauptstadt. Jetzt stellen sie zwei chinesische Nachwuchskünstlerinnen aus.

Ein wackliger roter Sessel vor einer abgewetzten Wand, umzingelt von unterschiedlich gefüllten weissen Säcken, ein Tisch mit Esswaren, Gewürzen, Schalen und Tellern, verrottete Erdbeeren in einer weissen Schale, verwelkte Orchideen, eine freistehende Badewanne, aus der farbige Säcke herausquellen, ein wuchernder Schutt- und Abfallhaufen.

 

Die Stillleben der Künstlerin Xi Danni, mit Öl und Ölkreide gemalt, lassen durch die Verwendung einer flachen Perspektive und heller, mitunter greller Farben die alltäglichen Sujets fremdartig erscheinen, eine unaufdringlich symbolisch aufgeladene Nature Morte entsteht. Wer will, kann eine konsumkritische Haltung in den Werken ebenso festmachen wie Anspielungen auf die kommunistische Führung (leerer roter Sessel), die allen ideologischen Parolen zum Trotz längst den Kurs eines staatlich kontrollierten Kapitalismus eingeschlagen hat.

In ihren Gemälden setzt sich Liu Yujie intensiv mit der Tradition der chinesischen Landschaftsmalerei auseinander. Wasserfällen oder Vulkankegeln in einer wüstenartigen Landschaft haftet etwas Kulissenhaftes an, noch verstärkt durch die Verdoppelung des Bildmotivs im Bild. Die räumliche Dimension und unterschiedliche Perspektiven betont sie bisweilen, indem sie ein kleinformatiges Bild an ein grösseres anlehnt – wobei das Motiv des hinabschiessenden Wassers nahtlos von einem Bild in das andere übergeht. Weder Xi Danni noch Liu Yujie, die beide erstmals in der Schweiz ausstellen, lassen sich den nach der zaghaften politischen Öffnung in den 1980er-Jahren in der zeitgenössischen Gegenwartskunst dominierenden und Welterfolge feiernden Strömungen des «political pop», des «cynical realism» oder der «gaudy art» zurechnen. Sie gehören vielmehr zu einer jüngeren Generation, die einerseits global an vorderster Front mitmischt und sich andererseits vermehrt auf die eigene reiche künstlerische Tradition besinnt.

 

Die in Peking lebenden Künstlerinnen, beide Abgängerinnen renommierter Hochschulen, haben die Berner Galeristen Andrej Malogajski und Fabian Schmid von der Galerie Soon im vergangenen März in ihren Ateliers in Peking kennen gelernt. Während einer Woche besuchten sie täglich mehrere Künstlerinnen und Künstler und wurden mit offenen Armen empfangen. «Uns war es wichtig, zwei verschiedene Positionen zu zeigen und trotzdem einen verbindenden roten Faden zu haben», sagt Andrej Malogajski.

Grosse Ateliers, grosse Bilder

Zusammen mit Fabian Schmid hat er vor zwei Jahren in der Münstergasse die traditionsreiche Galerie Rigassi übernommen. Malogajski fand die Idee spannend, zwei weibliche Künstler ähnlichen Alters mit unterschiedlichen figurativen Malstilen in einer Ausstellung zu kombinieren: «Während Lin Yujies Werke bewusst im traditionellen Stil gemalt sind, thematisiert Xi Danni eher die rasante Veränderung des modernen China.»

In Peking profitierten die beiden jungen Berner Galeristen vom grossen Netzwerk des bekannten Kurators Feng Boyi, der unter anderem eng mit Ai Weiwei zusammengearbeitet hat. Er brachte die Schweizer auch mit Hochschuldozenten und Galeristen zusammen. Aufgefallen ist Malogajski die schiere Grösse vieler Ateliers, von denen hiesige Künstler nur träumen könnten. «Wir waren in alten Fabrikhallen im Norden Pekings, die je einem Künstler als Atelier dienen.» Entsprechend gigantisch würden die Werke teils auch ausfallen. Die chinesischen Künstler produzierten Bilder, die wegen ihrer Grösse in der Schweiz kaum gezeigt werden können. Als Türöffner dienten den Berner Galeristen in der Schweiz die aus Peking gebürtige Labortechnikerin Xiaxia Zhang sowie die 78-jährige Küngolt Bodmer.

 

Neben ihrer Leidenschaft für das Theater – sie ist seit einem halben Jahrhundert Statistin am Berner Stadttheater – hat Küngolt Bodmer als Mitarbeiterin im Kunstmuseum und später im Institut für Kunstgeschichte eine enge Beziehung zur bildenden Kunst.

Jetzt sammeln auch die Chinesen

Im Rahmen einer Ausstellung in der kurzlebigen Berner Private Gallery mit chinesischen und Schweizer Fotografen am Festival «Culturescapes» lernte Bodmer 2010 Kurator Feng Boyi kennen. Mit Feng Boyi realisierte sie ein Jahr später eine Ausstellung mit zehn Schweizer Gegenwartskünstlerinnen (u. a. Chantal Michel, Pipilotti Rist und Klaudia Schifferle) im He-Xiangning Art Museum in Shenzhen.

Küngolt Bodmer hat die beiden Soon-Galeristen im vergangenen März nach Peking begleitet. Es war nicht ihr erster Besuch in der chinesischen Metropole. Seit den 1970er-Jahren, als der Schweizer Unternehmer Uli Sigg nahezu allein auf weiter Flur zeitgenössische chinesische Kunst sammelte – Sigg zeigte seine Schätze bekanntlich in den zwei grossen Ausstellungen «Mahjong» 2005 und «Chinese Whispers» 2016 in Bern –, hat sich laut Bodmer einiges getan: «Mittlerweile sammeln auch viele Chinesen zeitgenössische Kunst. Die Neugier der jungen Generation auf Gegenwartskunst ist riesig; davon könnten wir uns in der Schweiz eine grosse Scheibe abschneiden.»

Die in Bern ausgestellten Werke von Xi Danni und Liu Yujie können selbstverständlich auch gekauft werden, die Preise bewegen sich im niedrigen und mittleren vierstelligen Bereich – allein das Grossformat «Waterfall No.1.» von Liu Yujie ist etwas höher veranschlagt. «Wir hoffen natürlich, dass diese erste Zusammenarbeit mit den beiden Künstlerinnen in Bern auf Interesse stösst», sagt Andrej Malogajski. Er kann sich durchaus vorstellen, dass die Galerie langfristig nicht nur mit Xi Danni und Liu Yujie zusammenarbeitet, «sondern auch mit weiteren grossartigen Künstlern, die wir in Peking kennen gelernt haben».

Galerie Soon, Münstergasse 62, Bern. Bis 17. Februar.