Die wilden Kerle

Der Bund, October 31, 2014

Plakate, Flyer, Cover, Skateboards, Logos, Gadgets: Das Grafikdesignkollektiv Büro Destruct feiert sein 20-jähriges Bestehen. Zusammen mit der Serigraphie Uldry – und einer geheimnisvollen Spezies.

 

«Das Leben ist für Tribler Child nur ein grosses Spiel, das es jeden Tag von neuem zu starten gilt.»

Im Jahr 1999, einer Zeit, in der Computer erstmals Grafiken ausspuckten und die elektronische Musik in der visuellen Kultur einen aalglatten Futurismus begründete, entstieg das Büro Destruct (BD) nach vierjähriger Schaffensphase gerade erst den Kinderschuhen. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte der Berliner Verlag Die Gestalten die erste Werksammlung des Grafikdesignkollektivs. Avantgardistische Partyflyer, vielperspektivische Poster, farbspritzende Skateboard-Designs, blubbernde Schriften und absurde Illustrationen – die verspielten Arbeiten der vier Berner waren in den 90er-Jahren nicht einfach nur qualitativ gut, sie waren neu. Ihr Output: immens. «Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis man zusammen ein Buch machen würde», erinnert sich Hendrik Hellige, Herausgeber und Designer beim Berliner Verlag. «Das BD war gerade am Anfang ein wichtiger Teil jener Bewegung, die mit den neuen technischen Hilfsmitteln eine völlig eigene visuelle Sprache entwickelte.» Ihr Stil war unberechenbar, undogmatisch und «gleichzeitig so schweizerisch und unschweizerisch, wie man sich nur vorstellen kann.»

Kopiert und zitiert

Heute findet man den Bildband «Büro Destruct» (auf den zwei weitere und etliche Beiträge in Sammelbänden folgten) unter anderem im Museumsshop des Moma in New York. Ihre Schriften wurden bereits auf japanischen Flyern, Pariser Flohmärkten, in amerikanischen Fernsehserien und sogar auf dem Album-Cover von Radioheads «Kid A» gesichtet. Die Arbeiten des Quartetts wurden oft kopiert und zitiert, wie zum Beispiel die Umschlaggestaltung von «Swiss Graphic Design» (2000), in der sich ein Schweizer Pass neben grafisch angeordneten, grauen Bürogegenständen wiederfindet. Die aufgeräumte Gestaltung sagt zum Betrachter: «Schau her, wie wunderbar perfektionistisch und reduziert in der Schweiz gestaltet wird.» Doch der rote Pass entgegnet: «Von wegen, Schweizer Design ist nicht nur grau und pflichtbewusst, sondern kann auch knallen.» Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren balancieren BD auf der Kante zwischen Kunst und Design, gehalten von einem Dreieck aus Ästhetik, Bedeutsamkeit und Trash.

Doch während «Büro Destruct» in Los Angeles wahrscheinlich immer noch als Lehrmittel für Studenten der visuellen Kommunikation benutzt wird, fehlt es im Lehrplan der Hochschule der Künste Bern. Hat ihr Leuchtfeuer also nur global geflackert und ist in seiner Heimat ungesehen geblieben? Mitnichten. Wenn Lorenz «Lopetz» Gianfreda durch Bern läuft, erfasst ihn immer wieder eine «kindliche Freude». Ob für den Kitchener, den Coiffeur Blond oder den Progr, das Büro in der Matte hat in den letzten 20 Jahren nicht nur grosse Firmen wie Sony oder Nike mit visuellen Frechheiten versorgt, sondern vor allem die Berner Kulturlandschaft mit Flyern, Plakaten und Logos nachhaltig geprägt – und damit eine ganze Generation an jungen Grafikern.

Vor allem in den Nullerjahren wimmelte es in der Schweiz von Flyern und Plakaten aus dem Hause Destruct, ob für die Dampfzentrale, die Reitschule oder die Rote Fabrik. Heute habe sich das ein wenig gelegt, so Lopetz, einerseits weil die Printwerbung oft durch digitale Anzeigen ersetzt werde, andererseits verfolgten viele Kulturinstitutionen nun ein umfassendes Marketingkonzept. Muss also an der alten Devise gerüttelt werden, dass Aufträge für kulturelle Institutionen mehr gestalterischen Freiraum lassen? «Es hat sich ausgeglichen. Arbeiten für

Von Xymna Engel 30.10.2014

Kulturinstitutionen kommen oft professioneller daher, sind aber leider auch oft

Kulturinstitutionen kommen oft professioneller daher, sind aber leider auch oft verkopft. Auf der anderen Seite trauen sich aber die kommerziellen Auftraggeber immer mehr, freier zu denken.» Dass heute weniger Kulturplakate von Lopetz, Marc «MB» Brunner, Heinz «H1» Reber und Felix «HGB» Fideljus auf der Strasse hängen, ist sicher auch damit zu erklären, dass sie an vielen anderen Projekten arbeiten, zum Beispiel dem Produkte- und App-Design oder das Büro Discount betreuen, das in Zürich seit 10 Jahren Shop und Plattform für junge Künstler ist. «Es ist aber gut so, nun kommen andere junge Grafiker zum Zug.»

Doch so ganz können sie es trotzdem nicht sein lassen. Zum 20-jährigen Bestehen haben sie nämlich eine Plakatserie entworfen, die parallel zur Ausstellung unter dem Motto «It’s not an anniversary – it’s a dedication» auch in Buchform erscheint. Dabei handelt es aber für einmal nicht um Konzert- und Theaterankündigungen, sondern um BD selbst respektive eine geheimnisvolle Spezies: die Tribler. «Diese Kreaturen sind mythische, archaische Geschöpfe. Sie zu erschaffen, war, als würde man einen Dinosaurier ausgraben», so Lopetz. Unter den 20 verschiedenen Charakteren finden man krumme Beine, glubschige Augen, scharfe Zähne, eckige Köpfe und wilde Frisuren – obwohl die Tribler aus streng geometrischen Formen bestehen.

Gedruckt wurden die Porträts der Sippe von der Serigraphie Uldry, die gleichzeitig mit BD ihr 50-jähriges Bestehen feiert. «Wir haben Uldry immer bewundert, auch er hat eine starke Dedication, also eine Hingabe, für das, was er tut. Er drückt nicht einfach auf irgendwelche Knöpfe und jagt die Produkte durch die Maschine, sondern er legt Wert auf Qualität. Das Plakat ist für ihn eine Kunstform», so Lopetz.

Roboter und Mauerwerke

Es ist kein Zufall, dass die Anzahl dieser wilden Kerle mit den Schaffensjahren von BD übereinstimmt. So steht das Jahr 1995 im Zeichen des Tribler Robot, das Jahr 2006 im Zeichen von Tribler Sun. Und es scheint, als würden die Charaktere nicht nur verschiedene Arbeiten von BD verbinden, sondern oft sogar mit ihrer Philosophie übereinstimmen. Beispielsweise Tribler Chalet: Er hat auf seinen Reisen viel erlebt und würzt seine Geschichten immer mit einer Prise Humor. Oder Tribler Careater, der schaufelt sich auch durch das dickste Mauerwerk, hat aber einen weichen Kern. Entworfen mit einer Grafiksoftware und von Hand weiterbearbeitet, sind neben witzigen Figuren auch nachdenkliche entstanden. 2012 starb das langjährige Teammitglied Heinz «HeiWid» Widmer. Der Tribler dieses Jahres heisst Mummy, ist sehr minimal, steht vor einem dunklen Hintergrund, hilflos. Doch zum Glück gibt es den Tribler Sailor:

«Tribler Sailor ist immer zur Stelle, wenn ein Tribler Hilfe braucht! Er lässt sich gerne treiben, und wenn ihm danach ist, wirft er seinen Anker aus.»

Er steht für das Jahr 2013, und obwohl er das aktuellste Schaffensjahr der Grafikdesigner widerspiegelt, ist es doch immer noch der kindliche Spieltrieb des jüngsten Tribler Child, mit dem das BD seit 20 Jahren die Schweizer Grafiklandschaft umgräbt.

Soon Galerie Sa, 1.Nov.,17 Uhr, bis 11. Nov. (Der Bund)