Rauschende Stille

Xymna Engel, Der Bund, February 16, 2016

Er bringt Räume zum Atmen: Der Berner Künstler Zimoun ist ein Magier der Multiplikation. Ein Besuch in seinem Versuchslabor im Progr.

Aus dem offenen Karton kommt ein leises Schaben. Darin: eine weisse Kugel, die gemächlich hin und her rollt. Sie hängt an einem Draht wie an einem Lasso, angetrieben durch einen Mini­motor. Plötzlich wird die Kugel nervös, fängt an, zu hüpfen, knallt in die Ecken, bis sie schliesslich regelmässig vor sich hin klockt. Irgendwo dazwischen gerät der Rhythmus ins Wabern. Genau das ist der Zustand, den Zimoun sucht: «Dort, wo es anfängt, zu leben.»

 

«5 Dancing Balls» steht auf einer der vielen Kisten vor seinem Atelier im Progr. Gut möglich, dass sie bald in Peking oder New York ausgepackt wird, denn Zimoun gehört zu den wenigen Berner Künstlern, deren Namen man im Ausland öfter hört als in seiner Heimatstadt. Doch Bern ist für ihn nach wie vor die Basis: Sein Atelier ist ein Versuchslabor voller Plastikflaschen und Schraubenzieher, Styroporkugeln und Minimaschinen, Zangen, Ösen, Schläuche und Drähte. Daraus baut er mithilfe seiner Assistenten Prototypen, untersucht tagelang das Knarren einer Türe oder die akustische Haltbarkeit von Klettverschlüssen. Und ganz unscheinbar in der Ecke steht ein Werkzeug, mit dem die Dinge begonnen haben: der E-Bass.

Vor 20 Jahren ermunterte ihn der Berner Musiker und Komponist Don Li erstmals, seine musikalischen Möbiusschlaufen und visuellen Experimente zu präsentieren, heute sind daraus synästhetische Rauminstallationen geworden. Zimoun beherrscht die verschiedenen Dialekte der Kunst, ohne jemals an einer Kunsthochschule gewesen zu sein. «Mir war immer klar, was ich als Nächstes tun wollte. Ich lerne schnell und gern, wenn ich dafür eine direkte Notwendigkeit empfinde. Mein Werdegang als Autodidakt ist daher nicht zufällig», sagt der 38-Jährige, in dessen Stimme sein Lächeln nachklingt.

Ameisen und Maschinen

Zimoun ist ein Meister der Multiplikation: In seiner Installation im kürzlich neu eröffneten LAC Art Museum in Lugano trommelt nicht nur eine weisse Kugel in ihrer Kiste, sondern eine neben der anderen. In diesem akustischen Wimmelbild wird aus dem Klopfen ein Rauschen, aus Maschinen ein vibrierender Organismus. Kein Wunder landet man im Gespräch mit dem Künstler schnell bei der erstaunlichen Kriegsführung von rivalisierenden Ameisenstämmen.

 

«Maschinen sind niemals synchron. Nicht einmal die synchronen», sagte John Cage einst. Auch die klar strukturierten, ja fast schon steril anmutenden Arbeiten von Zimoun brauchen Fehler, «das Unpräzise». Nur so erreicht er die Gleichzeitigkeit von Chaos und Ordnung, Individuum und Masse. Und in all dem Gewusel spielt nicht zuletzt auch die Stille eine wichtige Rolle. «Vielleicht ist es genau das, worum es schlussendlich geht», sagt er, «denn ohne sie kann man kein Geräusch wahrnehmen.»

Dieses Jahr wird auch Bern wieder mehr von Zimoun haben: Als Associated Artist der Dampfzentrale sind noch einige Überraschungen geplant, im Kunstmuseum Thun wogt derzeit ein Mondmeer aus zerknülltem schwarzem Papier, und die Galerie Soon begeht ihre letzte Ausstellung in der Lorraine im Takt seiner Arbeiten. Hier wird der Künstler vor allem kleinere, sammelbare Werke zeigen.

Es ist faszinierend, wie Zimoun die kinetische Kunst in Hypnose versetzt, wie er seine Idee ständig weiterentwickelt. Das liegt sicher auch daran, dass es sich für ihn auch nach vielen Jahren so anfühlt, «als hätte ich dieses Universum gerade erst betreten».

 

Soon Galerie ? Do, 18. 2., 17 Uhr (Vernissage). Bis 19. März.